Samstag, 7. Juni 2014

Das Ding mit der Vergangenheit

#NotYourHero
Nr. 2

Es gibt da eine Sache, über die ich relativ ungern spreche, auch wenn ich im Grunde gerne Persönliches von mir preisgebe. Aber über alles, das länger als, sagen wir 3 Jahre her ist, spreche ich selten bis gar nicht. Ich weiß selbst nicht so genau warum, es war irgendwie einfach keine gute Zeit, damals. Und nachdem ich nicht darüber reden will oder kann, schreibe ich eben, Gedanken nieder zu schreiben fällt mir immer leichter, als sie auszusprechen.

Ich weiß nicht genau, wo ich anfangen soll, am Besten wohl ganz am Anfang. Ich bin nicht gerade ein Wunschkind, also in keinster Weise, was ich auch verstehe, ich würde mir ja jetzt mit 18 bzw bald 19 Jahren, das Alter, in dem meine Mutter mit mir schwanger wurde, auch kein Kind wünschen. Ich weiß nicht ob ich überhaupt je den Wunsch nach Kindern verspüren werde, also kann ich das niemandem verübeln, und ich bin wohl nicht der einzige Mensch weit und breit, der eigentlich nicht entstehen hätte sollen, deshalb ist das wirklich nicht so schlimm für mich. Weil meine Eltern mich ja trotzdem geliebt haben, und aus unerklärlichen Gründen, vielleicht einem Wunder, noch immer zusammen sind, obwohl sie sich erst kurz bevor ich entstand kennengelernt hatten. Das erhält in mir irgendwie den Glauben daran, dass es auf der Welt Menschen gibt, mit denen man vielleicht ja doch zusammenpasst und mit denen man irgendwie so ziemlich alles durchstehen kann, einfach dass es sowas wie Liebe wirklich gibt, und das nicht ein weiteres Konstrukt unserer Gesellschaft ist. Ich weiß nicht wieso, aber das gibt mir irgendwie ein bisschen Halt, keine Ahnung warum.

Jedenfalls. als ich dann damals vor knapp 19 Jahren das Licht der Welt erblickte, durfte ich in einer mehr oder weniger ziemlich heilen Welt aufwachsen, wir wohnten bei meinen Großeltern bis ich sechs war, und das war die absolut schönste Zeit meines Lebens, erstens weil meine Großmutter einen Bauern_Bäuerinnenhof besitzt und das als Kind wirklich ein Traum ist, mit all den Tieren, der Natur, wirklich wunderschön, zweitens weil ich die Vorteile ein Einzelkind zu sein in vollen Zügen auskosten konnte. Generell war ich in der engeren Familie das einzige Kleinkind und wurde dementsprechend "verhätschelt". Alles in allem war es wirklich eine wundervolle Zeit bis so im Alter von sechs Jahren, ich kann mich an viele schöne Momente zurückerinnern, aber darauf gehe ich jetzt nicht genauer ein, das kann ich vielleicht einmal in einem anderen Eintrag, passt ja schlecht in meinen Depri-Eintrag.

Als ich sechs Jahre alt war zogen wir dann in ein neues Haus in ein anderes "Dorf", also am Land. Es fiel mir sehr schwer, gerade anfangs, weil ich ja kurz vor meiner schulischen Laufbahn stand und am liebsten mit den Kindern aus meiner Kindergartengruppe in eine Klasse gekommen wäre, und nicht mit mir ganz fremden Personen, von denen sich der Großteil schon nach kurzer Zeit als ziemlich ungute Menschen entpuppten, also meiner Meinung nach zumindest. Zu mir waren sie jedenfalls aufgrund verschiedener Gegebenheiten alles andere als nett. Hier beginnt auch die Geschichte, über die ich eigentlich schweige.

Weil es so ist, dass ich mich als Kind in meinem Körper eines Mädchen alles andere als wohlgefühlt habe. Das lag nicht am Körper, sondern eher an den Eigenschaften, denen ich aufgrund meines Körper entsprechen hätte sollen, aber nicht wollte. Das hat sich ja bis heute nicht geändert, nur dass ich heute ein anderes Selbstwertgefühl und -bewusstsein habe als damals. Schon im Kindergarten entsprach ich nicht der mir vorgegebenen Rolle, nur war es damals nicht bedeutend, weil es niemanden störte, am wenigsten mich selbst. Übrigens war ich schon damals nur in Mädchen* verliebt, und für mich war das absolut normal, erst viel später habe ich gemerkt, dass das jetzt eigentlich nicht so der Norm entspricht und eher....sagen wir unerwünscht ist. Naja, als ich dann begann in die Schule zu gehen, war es dann für die neuen Leute nicht so okay wie für die von früher, wie ich war, wie ich mich gab. Weil man mich damals leicht mit einem Buben verwechseln hätte können. Eh wie heute, wenn man so drüber nachdenkt. Anfangs war es nicht so schlimm für mich, weil ich zwar bei den Mädchen meiner Klasse "die komische" war, also bei den meisten zumindest. Aber war nicht tragisch, weil ich dann einfach mit den Buben mitgespielt habe, die haben mich damals wirklich gut leiden können, haben mich als "nicht so fad wie die anderen Mädchen" beschrieben, und sie nahmen mich außerdem viel ernster, als die anderen Mädchen. Ich gehörte mehr oder weniger einfach "zu ihnen".

Das hat sich leider nach ein-zwei Jahren drastisch geändert, als dann irgendwie allgemein bemerkt wurde, dass so wie ich war nicht ganz normal ist. Schnell war ich die Außenseiterin der Klasse. Das war dann die Zeit, in der ich beschloss mich anzupassen, ich kleidete mich plötzlich rosa, verhielt mich "wie ein Mädchen sich eben verhält", trug immer diese schrecklichen Haarreifen, etc. Ich steckte einfach einen riesen Teil meiner selbst zurück, um akzeptiert zu werden. Mit Erfolg, nach einer Weile war ich bei den Mädchen beliebt und wurde nicht mehr ausgeschlossen. Gut ging es mir natürlich trotzdem nicht, das war ja nicht wirklich ich. So ging das den Rest meiner Volksschulzeit, ich meine, es gibt schon auch schöne Erinnerungen, es wäre halt schöner gewesen, wenn ich ich selbst sein hätte können. Ich hatte damals einfach die Wahl zwischen mich verstellen und akzeptiert werden, bzw ich selbst sein und nicht akzeptiert werden.

In der Hauptschulzeit war für mich dann die Zeit des Versteckens - zumindest vorübergehend - vorbei. Ich kleidete mich wieder wie es mir gefiel, ohne Rücksicht darauf, ob es anderen genauso gut gefällt oder nicht. Ich hatte zwar kaum Freund_innen zu dieser Zeit, aber das war mir auch egal. Nicht egal, aber ich konnte damit leben. Zumindest für einen längeren Zeitraum. Dieser längere Zeitraum war so ca. ein Jahr. Als ich ungefähr 12 war, steckte ich in einer wirklich schwierigen Phase, einer Art Identitätskrise. Ich merkte einfach, wie sehr ich mich von allen anderen in meinem Umfeld unterschied, einerseits weil ich einfach kein Mädchen sein wollte, andererseits weil ich aber zeitgleich an Mädchen interessiert, sprich in sie verliebt war. Das bereitete mir sowieso die meisten Sorgen, alle anderen Mädchen aus der Klasse schwärmten die ganze Zeit für irgendwelche Jungs, Jungs die ich aufgrund ihres Auftretens einfach nur abartig fand, Jungs, die Mädchen wie minderwertigere Menschen behandelten. Und auf sowas standen genau diese Mädchen, die von ihnen ständig aufgezogen, verarscht wurden, das war für mich so unerklärlich. Ich wollte also weder sein, wie die Mädchen, noch weniger wie die Jungs. Ich war wohl irgendwas dazwischen. Das merkten auch die aus meiner Klasse, besonders eine hatte es auf mich abgesehen, neben der ich auch zwangsweise sitzen musste, weil damals noch die Lehrpersonen die Sitzordnung bestimmten. In der Klasse war es wirklich nicht schön, man kann wirklich gesagt, diese eine, die mich so gar nicht leiden konnte, lenkte irgendwie die gesamte Klasse und hetzte alle gegen mich auf, wobei sich die Gewalt, die mir entgegengebracht wurde nicht auf das psychische beschränkte, sprich meine Sitznachbarin ließ alles was nur ging an mir aus, was mir blaue Flecken an den Armen einbrachte, und zwar dauernd, weil sobald die alten weg waren, entstanden schon wieder neue. In dieser Zeit ging es mir wirklich besonders schlecht, ich war halt die Person, an der man irgendwie den Frust auslassen konnte, und ließ es dummerweise einfach mit mir machen.

Ich wollte damals auch unbedingt Klasse wechseln, weil in der anderen Klasse viel liebere Menschen waren, Menschen, die mich mochten, ja, mich sogar schätzten. Einer dieser Menschen ist bis heute eine meiner besten Freundinnen, ich bin sehr froh, sie heute und vor allem damals in meinem Leben haben zu dürfen bzw durfte. Ich weiß nicht mehr genau, woran der Klassenwechsel gescheitert ist, jedenfalls wurde daraus nichts, warum auch immer. Es hätte mir sicher geholfen, in eine andere Klasse zu kommen, aber es war ohnehin nur noch ein Jahr zu ertragen. Ein Jahr kann sich aber echt in die Länge ziehen, wenn man das Ende gar nicht erwarten kann. Ich habe mein bestes gegeben, diese ewige Quälerei nicht zu sehr an mich heranzulassen, gesprochen habe ich darüber zu der Zeit mit niemandem, ich war schon immer gut darin, einen auf "heile Welt" zu machen, mit einem Grinsen im Gesicht zu sagen, es würde mir eh gut gehen und innerlich eigentlich am Zerbrechen zu sein. Ich bin morgens immer aufgewacht und hab mich gefragt, was das alles eigentlich noch für einen Sinn macht, ich wollte nicht sein wer ich bin, aber konnte auch nicht sein, wie ich gerne gewesen wäre, man kann eben nicht raus aus ihrer_seiner Haut.

Meine einzige Hoffnung war die Zukunft, und das Wissen darüber, dass es ja nicht mehr so lange dauerte, bis das alles endlich vorbei war. Als es dann vorbei war wurde wirklich alles besser, ich kam in eine Klasse, in der ich akzeptiert wurde wie ich bin, auch wenn ich noch sehr lange brauchte, bis ich wirklich aus mir rauskommen konnte. Mir ging es auch nicht von heute auf morgen plötzlich extrem gut, weil man die Vergangenheit ja trotzdem mit sich rumschleppt und es manchmal echt lange dauert, bis man den überflüssigen Ballast abwerfen kann. Aber mit der Zeit entwickelte sich alles zum Guten, sicher gab es wieder Höhen und Tiefen, das hört niemals auf, aber es war zumindest kein Dauertief mehr zu ertragen, vor allem, weil ich Leute kennen lernen durfte, die mir in vielerlei Hinsicht ähnlich sind, ähnlich denken usw. Ich bin um jeden einzelnen dieser Menschen wirklich sehr dankbar, weil sie mir seit ich sie kenne wirklich immer Rückhalt gegeben haben, ich offen und ehrlich zu ihnen sein kann, ohne mich davor fürchten zu müssen.

Es ist zwar schwer aus manchen Sachen, in diesem Fall eben aus meiner Vergangenheit, etwas Positives zu ziehen, aber ich wäre nie der Mensch, der ich jetzt bin, wenn ich nicht all das durchgemacht hätte, weil gerade sowas im Endeffekt nur stärker macht, und ich fühle mich im Vergleich zu damals wirklich sehr stark. Ich habe auch daraus gelernt, dass, egal wie schlimm es momentan mal sein kann, immer wieder bessere Zeiten kommen, und mit diesem Optimismus gestärkt, kann man jegliche Hindernisse im Leben überwinden und aus allen Gegebenheiten irgendwie wachsen.

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